Donnerstag, 4. Dezember 2008
Her mit dem Konsumgüterschein



Es gab einmal ein tausendjähriges Reich, das nach 12 Jahren von der Bildfläche verschwand. Es gab einmal den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, der nach 40 Jahren von der Bildfläche verschwand. Es war einmal die Rede vom Ende der Geschichte. Es war einst die Rede vom Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der gesetzmäßig und schlussendlich zum Kommunismus führe.

Es scheint uns Deutschen eigen zu sein, dass wir immer wieder an die Unverrückbarkeit von Etwas glauben wollen. Sei es nun der planmäßige Übergang zum Kommunismus, der Sieg der Marktwirtschaft, die Überlegenheit der Demokratie oder das entgültige Verharren der Spritpreise auf Höchstniveau.

Wer vor Jahren sein Geld aufs Sparbuch zahlte, anstatt mit Aktien spielend leicht Millionär zu werden, wurde mitleidig belächelt. Heute funktioniert der Satz genau andersherum, es sei denn auch die Banken verschwinden im Orkus. Alles ist entweder ganz hervorragend oder ganz katastrophal, so jedenfalls die jeweiligen Kassandrarufe.

Jede Kassandra verfügt über ein Heer von Ratten, die je nach Thema aus ihren Löchern kommen. Sparen oder Investieren, Freiheit oder Überwachung, Kämpfen oder Entwicklungshilfe leisten, Bildungsinvestition oder Steuersenkung, für alles gibt es das jeweilige Rattenheer. Ratten vermehren sich wie die Karnickel, so dass es keine Gefahr gibt, dass das eine oder andere Heer irgendwann ausstirbt.

Viele Ratten nehmen auch die jeweils stärkste Witterung auf und wechseln rechtzeitig in die richtige Armee, oft von heute auf morgen. Wer gestern auf Seiten der Diktatur des Proletariats stand, singt heute das Hohelied der freiheitlichen Demokratie. Wer gestern die Planwirtschaft hochleben ließ, kämpft heute für die soziale Marktwirtschaft, wer gestern nach mehr Markt schrie, dessen Stimme wird heute für den starken Staat heiser geredet und so geht es fort und fort.

Mittlerweile haben sich die meisten damit eingerichtet, die Medien sind ganz vorn dabei. Denn für alles lassen sich Beweise finden, jedem Beweis liegt der Gegenbeweis inne. Die Falsifizierbarkeit feiert fröhliche Urstände. Glaubensgrundsätze zählen nicht mehr, bunte Koalitionen schmieden sich zusammen.

Wohin führt das Ganze? Zu einer Unernsthaftigkeit in ernster Lage. Wer Studierenden Studiengebühren abverlangt, um das Hochschulsystem am Laufen zu halten und gleichzeitig Banken, die selbstverschuldet in die Krise gerutscht sind, mit Steuermilliarden pimpert und dabei von Alternativlosigkeit fabuliert, verliert unter denkenden Menschen jeden Rest an Glaubwürdigkeit. Und zwar dann, wenn er oder sie immer so tut, als sei alles durchdacht, planmäßig und logisch, was getan wird, also sozusagen gesetzmäßig. Und der Citoyen? Er wendet sich ab, angeekelt, belustigt, genervt, verzweifelt, je nach persönlicher Situation.

Jede Krise, jede Veränderung ruft ihre eigenen Propheten auf den Plan, diejenigen, die schon immer wussten, wie es eigentlich geht. Einerseits wird uns gesagt, wie komplex alles sei, andererseits werden einfache Lösungen aus dem Hut gezaubert, die es schon richten sollen.

Jede Krise hat ihre Gewinner. Und jede Gesellschaft verfügt über Spezies, die nicht verlieren können, komme was da wolle. Es ist schon so, dass die einzigen Verlierer die sind, die von ihrer Lohnarbeit gerade so leben und sich dabei keine Polster schaffen können.

Riecht hier jemand Marx? Der belächelte Graubart wird derzeit zumindest recht oft zitiert. Wer versteht ihn? Ich nicht. Noch nicht. Vielleicht wird er neue Religion, dann können wir zumindest wieder glauben. Schönstes Zitat dieser Tage: „Marx war ein brillanter Analytiker, nur seine Schlussfolgerungen waren falsch.“ Das kann man so dahin werfen, es klingt gut. Was waren seine Analysen, was seine Schlussfolgerungen? Lest Marx und dann Keynes und Hobbes, Smith und Erhardt. Irgendwo wird sich schon das Richtige finden.

Die Ossis sollen es uns bitte nicht erklären, wer weiß, was die dann mit reinmischen, ohne das wir es merken. Reicht schon, dass von KITA-Betreuung über Zentralabitur, Polikliniken, längeres gemeinsames Lernen,etc. so vieles wieder reaktiviert wird. Noch gelingt es aber unseren Medien so zu tun, als komme dies alles aus Finnland, Skandinavien oder Timbuktu. Die Behauptung von Dingen bewirkt Wunder. Und Wunder gibt es immer wieder.

Jetzt warte ich erstmal auf meinen Konsumgüterschein. Wie ich das mit meinem protestantischen – dir steht nur zu, was Du Dir selbst erarbeitet hast – Ethos zusammengehen soll? Keine Ahnung.

Und lesen Sie demnächst an dieser Stelle:

Mao: Schlechter Analytiker, guter Durchführer

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Ich finde, dass es hier mal eine Fortsetzung geben sollte. Immerhin ist politisch schon wieder eine Menge passiert, mein Lieber!

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