Sonntag, 19. Oktober 2008
Thea Dorn trauert
Wer ist Thea Dorn? Eine blondgefärbte Literatursendungsmacherin, die im Spiegel 42/2008 trauert, dass es in der Öffentlichkeit keine Intellektuellen unter 50 gibt.


Thea Dorn reibt sich erstaunt die Augen und fragt, warum gibt es keine Intellektuellen unter 70, die einen Diskurs anstoßen. Liebe Thea Dorn wir leben in der Marktwirtschaft, Stichwort Angebot und Nachfrage. Genauso könnten Sie fragen, warum stellt Langnese keine „Braunen Bär“ mehr her, warum gibt es keine Sänger wie Heintje und wo sind die Männer mit Schnurrbart und Minnipli, bzw. die Frauen mit Wasserwelle im Haar. Andersherum gefragt, freuen Sie sich, dass es immer noch neue Generationen von Gondolieres gibt, von Stierkämpfern und von Prostituierten, alle unter 50?

Oder gibt es die Intellektuellen unter 70, überall, auch in der Öffentlichkeit und Sie erkennen sie nur nicht liebe Frau Dorn, weil sie nicht in Ihr verstaubtes Bild vom Intellektuellen passen. Denn eines haben Sie vergessen zu beschreiben, nämlich, was denn ein Intellektueller ist. Wer hat schon Lust, sich in der Öffentlichkeit wie einer dieser Rasselbären vom Schlage Walsers, Sloterdejks, Broders oder Reich-Ranitzkis zu gebärden.

Diese, Ihre bewunderten Intellektuellen, waren doch immer ein Produkt ihrer Zeit und sie hatten es leicht. Erst wurde 12 Jahre lang gepredigt, alles ist gut, alles wird besser, verbunden mit dem einen oder anderen Opfer. Dann hieß es, tabula rasa, zuviel Weltpolitik ist ungesund, jetzt machen wir mal auf Wirtschaftswachstum. Seid ruhig und nähret Euch redlich. Und die Nummer funktionierte. Mit zwei offensichtlichen Haken. Es wurde etwas viel verdrängt und Deutschland war ganz schön geteilt. Darüber haben sich viele Gedanken gemacht. Die Intellektuellen, die Studenten, manche Arbeiter. Es war die Zeit des großen Experimentierens, aber nur im großen Stil. Blockkonfrontation, Kriege als Testfeld für die Überlegenheit der einen oder anderen Ideologie. Es machte sich das ein oder andere Unwohlsein breit, hierüber galt es nachzudenken und das machten sie, Ihre Intellektuellen. Und die Medien, in ihrer Vielfalt, spielten das Spiel mit. Und so wie es vor fast 500 Jahren Raum gab für die Ideen eines Martin Luther, gab es bis Ende der 1980iger auch in Ost und West den Raum für neue Ideen, geboren aus einem allgemeinen Unwohlsein.
Dieses Unwohlsein wurde nach 1989 für überflüssig erklärt, denn alle hatten sich einem neuen Gefühl zu verpflichten. Auflösung der Blöcke, Wiedervereinigung, Francis Fukujama sprach vom Ende der Geschichte und wir wollten es glauben. Auf jeden Fall war für uns Deutsche ein Kapitel entgültig beendet, die Nachkriegszeit. Viele Menschen waren der Meinung, das sei auch gut so und irgendwann müsse auch mal Schluss sein, kurzes Aufbegehren noch mal bei Walsers Paulskirchenrede und dann den Sack zu.
Ich denke, die Menschen sind heute weiter als jemals zuvor. Jeder ist sein eigener Philosoph, sein eigener Intellektueller. Kaum jemand hat noch das Bedürfnis, sich in die Paulskirche zu stellen. Und warum? Weil es die eine Wahrheit nicht mehr gibt, die Menschen nicht mehr an die eine Wahrheit glauben, nicht mehr darum ringen wollen und es 69 Fernsehsender gibt und das Internet. Zurückgeblieben sind die Zeitungen, die in Zusammenarbeit mit der Politik versuchen einen Mainstream zu basteln, den es auch nur an diesen Orten noch gibt.
Das System ist deines Glückes Schmied, wurde vor 89 in Ost und West gepredigt und für viele traf das auch zu. Heute ist wieder jeder einzelne seines Glückes Schmied, aber nicht jeder Schmied hat Glück. Jede und jeder muss versuchen, auf seine Weise glücklich zu werden und diese orientierungslose Blase in der wir uns bewegen, wird von vielen als gar nicht so schlecht empfunden. Das Leben ist heute so ausdifferenziert und bietet so viele Nischen, dass man niemanden mehr für eine Idee auf die Straße bringt. Einige haben es versucht mit den HARTZ IV-Demonstrationen. Regelmäßig werden Beschäftigte des Gesundheitssystems, Beschäftigte des Agrarsektors, Beschäftigte der Autoindustrie auf die Straße geschickt. Doch sie demonstrieren weder für die 45 Stunden Woche, noch für eine Woche Urlaub oder sonst Existentielles. Sie demonstrieren gegen Statusverlust. Doch den Statusverlust gibt es nicht mehr, denn das System stellt auch die Verlierer ruhig und das gar nicht so schlecht. Wer sich anschaut, wie viele Familien es gibt, die mit Stütze besser leben, als wenn sie arbeiten gingen, weiß, warum alles so ruhig bleibt. Und wer hier die Finger in die Wunde legt, fordert je nach Lager, entweder weniger Stütze oder mehr Geld für die Arbeitnehmer. Der Rest schaut interessiert zu.
Das neoliberalgelangweilte System in dem wir leben, saugt alle Proteste geschickt auf und neutralisiert sie, siehe die jüngste Fernsehpreisverleihung. Wo waren denn die Tumulte der vom senilen Reich-Ranitizki Beschimpften? Nein sie jubelten ihm auch noch zu, er brachte die entsprechende Würze in die Veranstaltung. Welcher Intellektuelle hätte denn da noch Lust, sich zu engagieren? Es gibt zur Zeit drei Sorten von Intellektuellen unter oder um die 50, die eine breitenwirksame Agenda bestimmen und diese Zeitgenossen sind nicht in den Universitäten oder in den Schreibstuben zu finden, sondern auf der Bühne. Die Comedians. Einmal vom Schlage eines Harald Schmidt oder Wiglaf Droste oder vom Schlage eines Oliver Pocher oder die Dadaisten vom Schlage Helge Schneiders. Sie sind die Intellektuellen, die äußerst zeitgemäß die Schwachstellen im System aufzeigen. Was ihnen allen gemein ist, ist ein mehr oder weniger starker Zynismus. Sie wissen, wie ihr Publikum, dass vieles äußerst fragwürdig ist und dass es aber eben keine generalistischen Antworten gibt, keine Finalen „wenn – dann“- Strategien. Niemand glaubt den Zeitungskommentatoren oder Politikern, die von Alternativlosigkeiten sprechen. Der Alltag der Menschen und der Alltag der politisch und medial Handelnden spricht eine andere Sprache.
Die Menschen sind nicht resigniert, sie warten ab. Sie wissen und sehen, dass vieles was passiert so nicht weitergehen kann. Sei es in der Wirtschaft, in der Umwelt, im globalen Agieren. Sie wollen aber keinen mehr, der Ihnen sagt, wie es geht, bzw. die, die es derzeit sagen, haben als Vorbilder ausgedient. Nach 16 Jahren Kohl waren die Menschen müde, aber was danach kam hat sie auch nicht erfrischt, weil all die Handelnden zu alten Kaste gehören, die es nie schaffen, glaubwürdige Schnitte in ihrem Handeln zu fabrizieren. Es lohnt sich in die Vereinigten Staaten zu schauen, wo ein Populist und Heilsversprecher gerade steile Karriere macht. Er hat keinen Schaum vor dem Mund, er spricht die Sprache der Menschen, hat gut Berater, versteht das System der veröffentlichten Meinung und es wird sich zeigen, ob mit einem gewissen Abstand diese Art auch auf Deutschland überschwappt. Nichts anderes löst doch gerade die Karrierepartei um Lafontaine/Gysi bei den Menschen aus. Yes we can. Doch die Folgen sind genauso nebulös wie in den Vereinigten Staaten. Wir leben in einem neuen Experiment, dass noch niemand zu fassen weiß. In einige Jahren lichtet sich der Nebel und dann haben Sie auch ihre Intellektuellen wieder auf der Bühne, liebe Frau Dorn.

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