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Freitag, 23. Januar 2009
Kneipe
wartburg, 20:34h
S + U- Bahnhof Warschauer Straße, 28.12.2008
Ich steige einfach aus, fühle mich vom Namen angezogen, vielleicht auch weil ich gerade die Aufzeichnungen eines Polen über Deutschland lese. Es ist unter Null Grad. Ich möchte ein Bier trinken und rauchen. In einer Kneipe! Da darfst Du bei der Wahl des Ortes nicht wählerisch sein. Ich verlasse den Bahnhof, biege von der Hauptstraße rechts ab, vorbei am Inder, am Türken und lande vor der „Hexe“. An der Eingangstür das Piktogramm mit einer nicht durchgestrichenen Zigarette!
In der Kneipe 6,5 Gäste. Der halbe zählt nicht, er liegt neben mir auf einem Sofa und schläft. Ein Rotgefärbter bearbeitet den Spielautomaten, die betrunkene Alte allein an der Theke, raue Stimme. Bier heißt hier Bierchen, die Gäste spricht die Wirtin mit Schätzchen an. Ein gewisser Günther und noch irgendjemand werden aufgefordert Dart zu spielen, von der Wirtin, mit den Worten: „Günter, jetzt bist Du dran mit Deiner großen Klappe.“ Deshalb kann er sich mit seiner großen Klappe nicht weiter auslassen über Treuhand, hohe Diäten und Effenberg „der Arsch, der war doch noch nie aufm Arbeitsamt“, so die Versatzstücke, die ich gleich zu Beginn auffange. Die Wirtin selbst scheint zu ihren besseren Kunden zu gehören. Vor die Wahl gestellt „Deutsches Pilsener“ oder „Löhner Bier“ – oder so ähnlich – empfiehlt sie mir das bessere, weil das andere schon im Glas stinke. Ich bestell das Bessere. Welches am Ende vor mir steht weiß ich nicht. Es schmeckt.
Wie immer in solchen Kneipen ist das Licht etwas schummerig, die Vorhänge vergilbt. Die Wirtin füllt mir den geschmacklosen Kerzenständer mit sieben Teelichtern auf, damit ich lesen kann. Die Alte hat keine eigene Meinung, sagt sie gerade, korrigiert sich aber „klar habe ich eine Meinung, die sage ich Euch aber nicht.“ Die Stimmung ist rau und herzlich, der Folk-Pop im Hintergrund beruhigt.
Mein Nachbar schläft immer noch auf dem Sofa.
Über mir ein Adventskranz. Überall, an den Wänden, an der Decke, über der Theke legitimieren Hexenpuppen den Namen dieser Eckkneipe im Ostteil der Hauptstadt. Die Stimmbänder aller Anwesenden haben sicher schon entspanntere Zeiten gesehen. Die Alte rastet kurz aus, weil sie der Wirtin nicht glaubt, dass in ihrem gerade abgeräumten Schnapsfläschchen nichts mehr drin war. Das Problem wird schnell mit einem neuen Kümmerling gelöst. Ich muss jetzt in dieser Kneipe sitzen, muss mich erstmal wieder erden. Bin nach den Feiertagen ein wenig angestrengt.
Günter soll sich seine Telefonnummer „irgendwohin schieben“, weil er sowieso nie dran geht. Er hatte nach eigenen Worten über Weihnachten fürchterliche Zahnschmerzen.
Der Verlierer bestimmt wer anfängt, „ob beim Skat oder beim Dart. Das ist überall so, überall“, beharrt Günter. Es ist ein lautstarker Thekenstreit ausgebrochen. Muss der Verlierer anfangen oder darf er bestimmen wer anfängt? „Anna will immer als Letzte anfangen, damit sie gewinnt. Die ist raffinierter als ihr denkt.“ Trudi widerspricht Günter, Trudi, die rauchige Alte. Sie wird gleich gemaßregelt. „Du bist hier nur eine einfache Kundin.“ „Günter Du redest Scheiße“, schlägt Trudi zurück. Ein Unbekannter fordert Ruhe. Ergebnis: Trude hat die Schnauze voll und trinkt erstmal einen Kümmerling. Günter schreit: “Halt die Klappe, du olle Kuh.“ Trude befürchtet, dass Günter einen Herzinfarkt bekommt und gibt ihm präventiv recht. Versteht keiner, dass Anna ihre Vorteile nutzt? Nur Günter ? Mein Nachbar schläft weiter. Günter bittet kleinlaut um eine Kopfschmerztablette. Die Kneipe füllt sich. Alle kennen sich.
Einer der Neuankömmlinge: „Hatten Weihnachten eine 4-Kilo-Gans für 16 Euro“ lässt sich von Günter erzählen, was zwischen ihm und Trude vor sich ging. Sein Kommentar: „Ihr seid verrückt, wegen einer solchen Scheiße. Aus dem Alter seid ihr doch raus.“ Bei Uschi gab es Grünkohl zu Weihnachten.
Meine freundliche Wirtin zapft mir noch ein Bier, Trude macht Miau-Geräusche und Günter sieht ein bisschen aus wie Wim Thölke. Die Wirtin informiert mich, dass das Bier noch ein wenig dauert. Trude wirft Günter einen Kuss zu und trinkt noch einen Kümmerling. Mein Nachbar schnarcht leise vor sich hin. Trude sitzt allein, die anderen stehen in der Gruppe. Mein Nachbar erwacht und begrüßt mich mit: Hi! Ich grüße zurück, er schläft wieder ein. Die anderen haben mich noch nicht wahrgenommen. Trudi führt Selbstgespräche und lacht sich kaputt. Dieter wirft angetrunken, aber zielsicher auf die Dartscheibe. Die Musik gefällt, es ist 18.15 Uhr, 28.12.2008 Trudi philosophiert über alte Schachteln und große Schachteln.
Mein Schlafnachbar heißt Conny und hat sich an die Theke geschleppt. Jetzt steht er da und zeigt mir seine totenkopfbedruckte Sweatshirtrückseite. Anna, die Wirtin, droht, solle er noch einmal einschlafen, „mache ich Dich zum Weibchen“. Günter und Dieter spekulieren, er schlafe hier, um Miete und Strom zu sparen. Das junge Pärchen neben mir, beide Raucher, beide Biertrinker, beide schweigen, schweigen, mit den Augen in Richtung Dartscheibe. Sie schweigen sich nicht an, sie schweigen in eine andere Richtung. Ich fühle mich wohl hier.
Neuer Spruch von Trude: „Ich bin zu klein, ihr seid zu alt, ich habe keine Angst.“
In der Hexe spielen vier Gäste Dart. Nach jeweils drei Würfen kehren sie zurück in ihre Gruppe, trinken und diskutieren. Der schweigende Biertrinker berät seine biertrinkende Partnerin in der richtigen Taktik.
Die Hexe ist eine dieser Kneipen, in der irgendwo Bilderrahmen hängen, gefüllt mit Fotokollagen der Stammkunden, an Weihnachten, Silvester, Ostern, was auch immer, immer die gleichen Gesichter, in unterschiedlichen Posen, unterschiedlicher Aufmachung.
Uschi putzt gerade die Klos. Conny trinkt Schwarzbier und wird von Dieter gefragt ob er schon wieder müde ist, „du Pfeife“. Günter, Schlips auf Hemd unter blauem Pullunder ist ruhig geworden. Das Herz? Auch von Trude kommt nichts mehr.
Dieter räumt ab beim Dart. Der Bierschweiger zieht nach, es folgen seine schweigende Partnerin und die Anna, die Wirtin. Dieter nur noch 24 Punkte, es wird auf Null gespielt. Der Bierschweiger ist auf 5, seine Frau auf 4. Was macht jetzt die Wirtin? Hat noch 74 Punkte. Jetzt noch 18. Macht Dieter das Spiel? Zweimal verworfen, auf 13.
Der Bierschweiger hat das Spiel gemacht. Neues Spiel, neues Glück. Es startet bei 501. Das Ziel ist immer Null.
Abschiedsworte der Wirtin: Es hoffe es Dir etwas gefallen bei uns. Es hat! Ich suchte eine Kneipe, wo ich rauchen kann!
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Obamarx
wartburg, 12:35h
Obamarx
Warum blühen in Deutschland keine Zitronen, warum fährt mein Nachbar Porsche, ich aber nur Seat Ibiza und warum haben wir keinen deutschen Obama? Fragen, mit denen sich dieser Tage die Teilnehmenden jeder Talkshow herumquälen.
Haben uns die Amerikaner schon wieder überholt. Wie gut ging es uns mit Bush: Er führte Krieg, war für ein verrottetes Bildungs- und Gesundheitssystem verantwortlich und amerikanische Autos wollte auch keiner mehr kaufen. Wieso haben wir es nicht hinbekommen, einen türkischstämmigen Politiker zum Bundeskanzler zu machen? Mit Merkel sonnten wir uns in dem Bewusstsein, als erste einer der wichtigsten Nationen eine Frau an der Spitze zu haben, die sogar aus Ostdeutschland kommt. (Tschuldigung vergessen, Thatcher, ja, aber die hatte das Attribut "Die Eiserne" und wär wohl lieber Mann gewesen) Alles vorbei. Sie lächelt nicht, sie ist nüchtern und sie ist weiß, der Exotenbonus ist weg.
Dem (West-)deutschen Empfinden geht es immer gut, wenn wir uns am vermeintlich Schlechteren messen können. Was ging es uns im Kalten Krieg gut, als wir jedes Jahr schwarz auf weiß lesen konnten, dass wir dem Osten überlegen sind. Allerdings mussten wir uns all die Jahre vergleichen lassen und deshalb strengten wir uns besonders an. Danach? Sieger der Geschichte. Konsequenz: Mal auf die Straße schauen.
Aus vollem Bewusstsein konnten wir Missliebigen bis ´89 ein fröhliches „dann geh doch in Osten“ zurufen. Wer sich über mangelnde soziale Leistungen und soziale Kälte beklagt, dem hätten wir bei einer weiteren Amtszeit Bush (so sie möglich gewesen wäre) zurufen können „dann geht erst mal zum US-Amerikaner“. Schluss, aus, vorbei.
Verwundert reiben wir uns die Augen. Beschämt schauen wir auf „Ich bin deutsch und nüchtern“-Merkel, auf „Ich bin klein und gemein“-Sarkozy, auf „Ich mach mich unsichtbar“-Brown, auf „Ich bin immer braun“-Berlosconi und wie sie alle heißen, die blassen, weißen Politikerinnen und Politiker im alten Europa.
Und während wir noch spötteln und schmunzeln über den „schwarzen Heilsbringer“, nicht zu verwechseln mit dem „schwarzen Bomber“, macht sich dieser auf den Weg und spricht Klartext.
Gott schütze unser Land vor dem Tag, an dem Obama auf deutschen Audi umsteigt und ein Marx-Shirt trägt. Was bleibt uns denn dann noch? Noch haben wir Zeit - noch einmal Merkel - dann aber bitte eine türkisch-stämmige Kanzlerin, mit drei Kindern und zwei Hunden. Es wäre nicht das erste Mal, dass wir der Welt zeigen, dass wir die besseren Autobahnen bauen, etc. Bis dahin verbuchen wir Obama unter „Unfall der Geschichte“ und gehen in den Schrebergarten und merkeln über „die da oben“.
P.S. Satz der Woche: „Vor sechzig Jahren mussten die Neger im Bus noch hinten sitzen“. Vor sechzig Jahren liefen die Juden in Deutschland nicht mal mehr auf der Straße, geschweige denn besetzten sie Sitzplätze in Bussen.
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Dienstag, 20. Januar 2009
Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen
wartburg, 21:10h
Eines Tages wachte er auf, stellte sich vor den Spiegel und beobachtete interessiert aber doch unbeteiligt die tiefen Augenringe, die sich in sein Gesicht malten. Im Spiegel ein leichtes missmutiges Kopfschütteln. Er drehte sich um, ging ins Wohnzimmer zum Regulator und stellte die Uhr eine Stunde zurück. Eine Stunde gewonnen. Eine Stunde gewonnen. Das ist nicht viel, das ist nichts, das sind paar Minuten aber immerhin. Das macht eine Stunde jünger.
Etwas gelangweilt lehnte er sich zurück, nahm eine Zigarette, ließ das Feuerzeug aufglühen und zog den Rauch tief in die Lungen. Er war jetzt in einem Alter, in dem es eigentlich kein Alter gab. Er war mit dem Zwischenalter gestraft, ihm war der Standpunkt wegradiert.
Er stand auf, ging einmal durch die vier Zimmer der Wohnung, schaute sich das Sammelsurium an, Ergebnis der Bewahrwut. Dann hielt er das Pendel der Uhr an, drückte die Zigarette in den überfüllten Aschenbecher, zog sich die Jacke über und schloss zweimal ab.
Als er schon das Ende der Straße erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und sah aus dem Fenster des Wohnzimmers eine starke Rauchwolke ziehen.
Den Kopf in den grauen Himmel gereckt spürte er den feinen Tropfenfilm, der sein Gesicht überzog. Die Tropfen vereinigten sich zu einem kleinen Rinnsal, der ihm in den Nacken floss. Er nahm seine Hände zur Hilfe, um so noch mehr Regen auffangen zu können. Er drehte sich einmal schnell um die eigene Achse, fand das aber albern und ging weiter, mal etwas schneller, mal etwas langsamer. Er griff in die Tasche nach den Zigaretten, doch die Schachtel war leer. Er zerknüllte die Packung zu einem kleinen Ball, warf ihn in die Luft und hätte ihn mit einem eleganten Schuss quer über die Straße befördert, wenn er nicht danebengetroffen hätte. Bald hatte er die Außenbezirke der kleinen Stadt erreicht. Menschen waren keine unterwegs, nur ab und zu überholte ihn ein Auto, mit rhythmisch zuckenden Scheibenwischern. Er kam an den Waldrand und tauchte hinein in den dunklen, baumbestandenen Raum. Es regnete jetzt so stark, das er sich nicht mehr die Mühe machen musste, Pfützen oder Matsch auszuweichen, denn alles war Pfütze und Matsch. Auf der rechten Seite tauchte in die Bäume geduckt ein grüner Bauwagen auf, wie ihn Waldarbeiter für ihre Pausen benutzen. Er ging dreimal um dem Wagen herum. Die Fenster des Wagens waren mit blechernen Läden verschlossen, vor der Tür hing ein Vorhängeschloss. Auf dem Bauwagen ragte ein Ofenrohr in die Höhe. Er rüttelte einmal an der verschlossenen Tür, er ging an die Wagenseite und versuchte den Blechladen aufzuziehen. Der Laden ließ sich öffnen. Dahinter eine fast blinde Glasscheibe, die er zur Seite schob. Er blickte einmal um sich, als wenn bei diesem Wetter jemand unterwegs gewesen wäre und schwang sich durch das enge Fenster ins Wageninnere. Rechts von ihm ein Tisch, und zwei Stühle. Auf dem Tisch ein altes Brot, einige leere Dosen Thunfisch und eine alte Zeitung. Daneben noch eine angebrochene Flasche Korn. Auf der linken Seite eine Motorsäge, Gummistiefel und an der Wand zwei Bauhelme. Außerdem ein gusseiserner Ofen, davor etwas Holz. Er setzte sich auf den Stuhl und suchte in seinen Taschen nach einer Zigarette. Er fand eine zerbrochene Zigarette, steckte sie sich in den Mund, ließ das Feuerzeug aufglühen und zog den Rauch tief in seine Lungen. In dem Raum war es kalt.
Den Zigarettenrest schnippte er Richtung Ofen, stand auf und öffnete die Ofentür. Darin noch Reste von Holzkohle und etwas angekohltes Papier. Er hielt das Feuerzeug an das Papier, das hell aufloderte und wieder in sich zusammenfiel. Er hob ein bisschen Holz auf und stopfte es in den Ofen. Dazu noch die Zeitung, die auf dem Tisch lag. Dann blickte er sich noch einmal in dem Raum um und entdeckte neben der Motorsäge einen Kanister. Er schraubte den Deckel auf und roch daran. Dann schüttete er etwas von dem Benzingemisch in den Ofen. Diesmal griffen die Flammen schnell auf das Holz über und als es aufloderte schloss er die Tür und rieb über dem Ofen die Hände aneinander, auch wenn es noch nicht warm war. Aber es knisterte etwas in dem Ofen. Er setzte sich wieder auf den Stuhl. Als es langsam warm wurde in dem Wagen, zog er seine Jacke aus und hängte sie über den zweiten Stuhl. Auch seine Schuhe zog er aus, stellte sie neben den Ofen, setzte sich wieder hin und legte die Beine auf den wackligen Tisch. Den Kopf in den Nacken gelegt, schaute er an die Decke.
Es war jetzt so warm in dem Bauwagen, dass er seinen Pullover auszog. Der Ofen glühte jetzt so stark, das um ihn herum die Luft zu flimmern schien. Er zog sich die nasse Jacke wieder an, stieg in seine Schuhe und verließ den Wagen, so wie er ihn bestiegen hatte, durch das Fenster. Nach einigen Hundert Metern hörte er ein lautes Krachen und sah beim Umdrehen eine große Stichflamme aus dem Bauwagen in den dunklen Waldhimmel schießen. Langsam ging er weiter, bis er den Waldrand erreichte und wieder Straße unter seinen Füßen spürte. Nach einigen Häusern am Straßenrand, die ihm mit ihren hell erleuchteten Fenstern den Weg wiesen, blieb er vor einem Zigarettenautomaten stehen, an dem gerade ein Mann mit Hund seine Münzstücke einwarf. Der Mann zog eine Schachtel heraus und warf erneut Münzen ein und ging mit zwei Schachteln und dem Hund weiter. Er suchte in seinen Taschen nach Münzen, warf sie ein und erhielt seine Zigaretten. Der notorisch klamme, aber auch notorisch mit schlechtem Gewissen geplagte Staat hatte die Schachteln neuerdings mit mahnenden Sprüchen bedrucken lassen. Beim Öffnen der Schachtel las er, dass Rauchen zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen könne. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund, ließ das Feuerzeug aufglühen und zog den Rauch tief in seine Lungen. Als er in seine Straße einbog, sah er eine Kolonne von Feuerwehrfahrzeugen, die ihren Wasserstrahl auf die Wohnung richteten. Er schaute eine Weile von weitem zu, rauchte, drehte sich dann um und ging weiter. Als er die Zigarette austrat hatte er den Bahndamm erreicht. Er kletterte das Geröll hinauf und schaute nach rechts und links. Er griff wieder in die Schachtel und nahm sich eine Zigarette. Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen. Er rauchte jetzt schnell und hektisch. Am Horizont sah er die Lichter eines Zuges heranrasen. Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen. Das war das letzte, was er sich wünschte...
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Die Software des Lebens
wartburg, 21:05h
Am Montag habe ich aufgehört zu sprechen, am Dienstag habe ich aufgehört zu hören, am Mittwoch habe ich aufgehört zu sehen. All diese fragwürdigen Fähigkeiten habe ich jetzt bewusst ausgeschaltet, nachdem sie mich zu oft im Stich gelassen habe. Schon zuvor habe ich nur das gesehen, was ich sehen wollte, habe nur selektiv hingehört und das, was ich gesprochen habe war viel zu oft nicht echt.
Wie viele Menschen gibt es, die in der Lage sind, ihre Sinnesorgane richtig zu bedienen, die von ihnen nicht allzu oft im Stich gelassen werden. Was ist mit dem Spüren, was ist mit dem lieben können, was mit dem Liebe empfangen können. Wie viele Menschen können noch vertrauen oder Vertrauen schenken, wie viele Menschen sind sich selbst gewiss?
Ich kann mir alle möglichen Softwarepakete auf den Computer laden. Wenn sie auf dem Computer sind, passiert erstmal nichts, so lange ich die Software nicht mit der .exe-Funktion aktiviere, um sie nutzen zu können. Wenn ich der Software überdrüssig bin, lösche ich sie über die Systemsteuerung. Jeder IT-Spezialist wird spätestens hier schmunzeln, denn für ihn wäre sie immer noch auffindbar, nur für mich als Durchschnittsuser ist sie weg.
Gehen wir mal davon aus, dass bei einem Neugeborenen die Software fertig installiert ist. Dann liegt es an der Umwelt, den Eltern, den Geschwistern, dem Umfeld diese zu aktivieren. Was aber, wenn einzelne Pakete nicht aktiviert werden oder bösartige Viren und Würmer aufgespielt werden. Manchmal versucht man eine Software zu spät zu aktivieren, dann ist sie längst veraltet und kann ihren Dienst nicht mehr tun. Gelingt bei jeder Software ein update? Was wenn sich der Mensch eigenständig entschließt, gewisse Softwarepakete zu löschen? Dank moderner Psychologie wissen wir, dass alles, was einmal auf die Festplatte des Lebens geladen wurde vorhanden bleibt, auch wenn es oft gelingt, vieles so zu verschachteln, aufzusplitten , in Unterordnern zu verstecken, dass man kaum noch dran kommt.
Wie oft träume ich davon, die Resettaste zu drücken, zu booten, einen Neustart zu versuchen. Als äußerste Möglichkeit löschen manche das Betriebssystem, dann aber entgültig.
Die Kombination aus Hören, Sprechen, Sehen und Fühlen führt zu einem festen Bild, dass unser Gehirn kreiert. Wer aber gibt uns die Garantie, dass dieses Bild real ist, der Realität entspricht und was bitte ist die Realität? Eine schnöde, wahrscheinlich immer schon gestellte Frage. Wenn nur einer die Realität vorgibt, enden wir in der Diktatur. Werden alle Realitäten zugelassen, befinden wir uns im Zustand der Anarchie. Beide Zustände entstehen schon auf kleinstem Raum, jeder der Beziehung lebt, weiß davon ein Lied zu singen. Ach was, die Hälfte reicht schon, schon in uns selbst erleben wir das Spannungsfeld von Diktatur und Anarchie unserer Gefühle.
Und ob wir jetzt über diese Erkenntnisse lachen oder weinen – ja das bleibt jedem selbst überlassen.
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Donnerstag, 4. Dezember 2008
Her mit dem Konsumgüterschein
wartburg, 13:45h
Es gab einmal ein tausendjähriges Reich, das nach 12 Jahren von der Bildfläche verschwand. Es gab einmal den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden, der nach 40 Jahren von der Bildfläche verschwand. Es war einmal die Rede vom Ende der Geschichte. Es war einst die Rede vom Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der gesetzmäßig und schlussendlich zum Kommunismus führe.
Es scheint uns Deutschen eigen zu sein, dass wir immer wieder an die Unverrückbarkeit von Etwas glauben wollen. Sei es nun der planmäßige Übergang zum Kommunismus, der Sieg der Marktwirtschaft, die Überlegenheit der Demokratie oder das entgültige Verharren der Spritpreise auf Höchstniveau.
Wer vor Jahren sein Geld aufs Sparbuch zahlte, anstatt mit Aktien spielend leicht Millionär zu werden, wurde mitleidig belächelt. Heute funktioniert der Satz genau andersherum, es sei denn auch die Banken verschwinden im Orkus. Alles ist entweder ganz hervorragend oder ganz katastrophal, so jedenfalls die jeweiligen Kassandrarufe.
Jede Kassandra verfügt über ein Heer von Ratten, die je nach Thema aus ihren Löchern kommen. Sparen oder Investieren, Freiheit oder Überwachung, Kämpfen oder Entwicklungshilfe leisten, Bildungsinvestition oder Steuersenkung, für alles gibt es das jeweilige Rattenheer. Ratten vermehren sich wie die Karnickel, so dass es keine Gefahr gibt, dass das eine oder andere Heer irgendwann ausstirbt.
Viele Ratten nehmen auch die jeweils stärkste Witterung auf und wechseln rechtzeitig in die richtige Armee, oft von heute auf morgen. Wer gestern auf Seiten der Diktatur des Proletariats stand, singt heute das Hohelied der freiheitlichen Demokratie. Wer gestern die Planwirtschaft hochleben ließ, kämpft heute für die soziale Marktwirtschaft, wer gestern nach mehr Markt schrie, dessen Stimme wird heute für den starken Staat heiser geredet und so geht es fort und fort.
Mittlerweile haben sich die meisten damit eingerichtet, die Medien sind ganz vorn dabei. Denn für alles lassen sich Beweise finden, jedem Beweis liegt der Gegenbeweis inne. Die Falsifizierbarkeit feiert fröhliche Urstände. Glaubensgrundsätze zählen nicht mehr, bunte Koalitionen schmieden sich zusammen.
Wohin führt das Ganze? Zu einer Unernsthaftigkeit in ernster Lage. Wer Studierenden Studiengebühren abverlangt, um das Hochschulsystem am Laufen zu halten und gleichzeitig Banken, die selbstverschuldet in die Krise gerutscht sind, mit Steuermilliarden pimpert und dabei von Alternativlosigkeit fabuliert, verliert unter denkenden Menschen jeden Rest an Glaubwürdigkeit. Und zwar dann, wenn er oder sie immer so tut, als sei alles durchdacht, planmäßig und logisch, was getan wird, also sozusagen gesetzmäßig. Und der Citoyen? Er wendet sich ab, angeekelt, belustigt, genervt, verzweifelt, je nach persönlicher Situation.
Jede Krise, jede Veränderung ruft ihre eigenen Propheten auf den Plan, diejenigen, die schon immer wussten, wie es eigentlich geht. Einerseits wird uns gesagt, wie komplex alles sei, andererseits werden einfache Lösungen aus dem Hut gezaubert, die es schon richten sollen.
Jede Krise hat ihre Gewinner. Und jede Gesellschaft verfügt über Spezies, die nicht verlieren können, komme was da wolle. Es ist schon so, dass die einzigen Verlierer die sind, die von ihrer Lohnarbeit gerade so leben und sich dabei keine Polster schaffen können.
Riecht hier jemand Marx? Der belächelte Graubart wird derzeit zumindest recht oft zitiert. Wer versteht ihn? Ich nicht. Noch nicht. Vielleicht wird er neue Religion, dann können wir zumindest wieder glauben. Schönstes Zitat dieser Tage: „Marx war ein brillanter Analytiker, nur seine Schlussfolgerungen waren falsch.“ Das kann man so dahin werfen, es klingt gut. Was waren seine Analysen, was seine Schlussfolgerungen? Lest Marx und dann Keynes und Hobbes, Smith und Erhardt. Irgendwo wird sich schon das Richtige finden.
Die Ossis sollen es uns bitte nicht erklären, wer weiß, was die dann mit reinmischen, ohne das wir es merken. Reicht schon, dass von KITA-Betreuung über Zentralabitur, Polikliniken, längeres gemeinsames Lernen,etc. so vieles wieder reaktiviert wird. Noch gelingt es aber unseren Medien so zu tun, als komme dies alles aus Finnland, Skandinavien oder Timbuktu. Die Behauptung von Dingen bewirkt Wunder. Und Wunder gibt es immer wieder.
Jetzt warte ich erstmal auf meinen Konsumgüterschein. Wie ich das mit meinem protestantischen – dir steht nur zu, was Du Dir selbst erarbeitet hast – Ethos zusammengehen soll? Keine Ahnung.
Und lesen Sie demnächst an dieser Stelle:
Mao: Schlechter Analytiker, guter Durchführer
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Dienstag, 14. Oktober 2008
Willkommen, Willkotzen
wartburg, 11:39h
Harte Worte, doch jetzt ist Schluss mit dem Agenda-Surfing. Was um Himmels Willen ist denn Agenda-Surfing? Auch wieder so ein Spezialbegriff, den sich die Experten ausgedacht haben. Surfen auf der aktuellen Themenwelle. Nichts an sich heran lassen, alles schon immer gewusst haben, seine Meinung schneller ändern können, als ein Hund sein Bein hebt. Die Gesellschaft besteht aus Agenda-Surfern, alle aal-glatt wie ein Babyarsch und vor Glitischigkeit nicht zu packen. Kein Innehalten, kein insichgehen. Das Leid braucht einen Namen: Tod dem Agenda-Surfing, hier bei den Wartburg-Bloggern.
Jüngstes Beispiel der Schleimspur, auf denen die Surfer nicht einmal mehr ausrutschen, findet Ihr hier. Anwesende werden zur Sau gemacht und beklatschen noch Ihren Kritiker.
Jüngstes Beispiel der Schleimspur, auf denen die Surfer nicht einmal mehr ausrutschen, findet Ihr hier. Anwesende werden zur Sau gemacht und beklatschen noch Ihren Kritiker.
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